Der Islam in Frankreich und Badious Utopie des Grauens

 In Analyse der islamischen Herrschaftskultur

In seinem Text über „Die roten Banner und die Trikolore“ in der linken Wochenzeitung, Zürich, vom 12.2.2015 (https://www.woz.ch/-59ec), gelingt es Alain Badiou nur mit gröbsten Verzerrungen und absurden historischen Vergleichen, die These vom allgegenwärtigen Rassismus und der „Islamophobie“ in Frankreich zu konstruieren.

Der Philosoph Alain Badiou lässt sich gerne als eine Art Widerstandskämpfer innerhalb des intellektuellen Betriebs feiern, einer der letzten Mohikaner, die das Wort Kommunismus noch in den Mund nehmen. Bei näherer Betrachtung erweist er sich aber als durchaus traditioneller Nachfolger des philosophischen Mandarinentums, dem empirische Bestände nicht allzu wichtig sind. Auch seine Darstellung des Schicksals der Muslime in Frankreich ist weit über die Linke hinaus Konsens: Gezeichnet wird das Bild einer Minderheit, die ubiquitärem Rassismus ausgesetzt ist und vom Staat in Ghettos gesteckt wurde[1], wo sie ein elendes Dasein fristet. Daraus entstünde der Islamismus, der allerdings, und hier ist fast das gesamte französische Establishment mit Badiou einverstanden, absolut nichts mit dem Islam zu tun habe. Die prononcierte Islamophilie Badious und seine explizite Sympathie für Organisationen wie Hamas oder Hezbolla[2]sind keineswegs originell, sondern werden von vielen Fraktionen der französischen Linken geteilt. Schliesslich waren auch die Pariser Intellektuellen, die in den sechziger Jahren noch zum Stalinismus standen, Legion. Badiou hielt es später eher mit Pol Pot und den Roten Khmer (Le Monde, 17.1.1979), was er freilich im Nachhinein bereute. Auch mit seinem überdimensionierten Ego steht Badiou in der Nachfolge vieler Absolventen der geisteswissenschaftlichen Eliteschmiede Ecole Normale Supérieure (ENS). Eine seiner letzten Publikationen ist eine Übersetzung der Politeia Platons, in Form eines Remakes, aufgetunt mit dem Programm und der Terminologie Badious (Platons „Staat“, 2013).

Badiou mag Platon, nicht aber Charlie Hebdo. Aus seiner Sicht ist Charlie Hebdo ein „schmieriges (…) Magazin“, das den Muslim mit Sarkasmus überhäuft und das freie Unternehmertum verteidigt.

Diese Einschätzung ist schlechterdings unhaltbar. Zunächst sei erwähnt, dass sich Charlie Hebdo nie und nirgends über Muslime lustig gemacht hat, sondern über Mohammed oder Islamisten. Charlie Hebdo ist fundamental antirassistisch. Die meisten Mohammed-Karikaturen waren zwar nicht besonders gelungen. Doch gerade der Humor bei Charlie Hebdo geht prinzipiell nie gegen Schwächere. In insgesamt 523 Ausgaben zwischen 2005 und 2015 schaffte es der Islam ganze sieben Mal auf die Titelseite. Auch dass das Blatt das freie Unternehmertum verherrlichen soll, ist vollkommen grotesk. Der beim Attentat vom 7.1.2015 erschossene Ökonom Bernard Maris schrieb jahrzehntelang für Charlie Hebdo als „Oncle Bernard“ gegen den Neoliberalismus an. Dass Badiou sich solchen Fantasmen hingibt, ist kein Zufall. Es dokumentiert, dass er nicht nur nie einen kritischen Begriff des Islam entwickelt hat, sondern ein apriorisch-dogmatischer Islamophiler ist, der bei gewissen Themen exakt wie islamische oder islamistische Pressure Groups argumentiert. Tatsächlich verwendet Badiou auch den Scheinbegriff der „Islamophobie“ inflationär, der in Frankreich in erster Linie dazu dient, den islamkritischen Widerstand gegen den Antisemitismus, die Erosion von Menschen- und Bürgerrechten und den zunehmenden Hass auf Schwule und Frauen als rassistisch zu delegitimieren. In dieser Hinsicht steht Badiou exakt auf dem Standpunkt von Figuren ganz rechts außen wie Alain Soral und dokumentiert, in welchem katastrophalen Zustand die Linke in theoretischen Belangen sich inzwischen befindet.[3]

Gewiss hat der militant-terroristische Islamismus zu einem guten Teil durch die desaströse imperialistische Politik des Westens im Nahen und Mittleren Osten Zulauf erhalten. Dazu hat auch beigetragen, dass (insbesondere) der angelsächsische Westen säkulare oder panarabische Regimes bekämpft und gleichzeitig die Golfstaaten hofiert hat. Doch die spezifische Ausformung dieser Ideologie und ihrer Armeen kann ohne ihr Fundament, den Islam, nicht verstanden werden.

Der Islam ist ein Glaubenssystem und zugleich eine totale Weltanschauungslehre mit einem Rechtssystem und einer integralen politischen Ideologie im Sinne eines autoritär-hierarchischen Herrschaftsmodells. Bei den Islamisten handelt es sich keineswegs um Spinner oder reine Blender, die ihre Religion ganz bewusst verfälschen und zweckentfremden. Vielmehr sind sie meist tiefgläubige Muslime, die den Koran und die Sunna auswendig lernen. Das Fatale besteht darin, dass sie aus dem Koran und der Sunna durchaus Stellen extrahieren können, die ihr Tun legitimieren. Da der Koran unveränderliche, unmittelbar göttliche Eingebung ist (etwa im Gegensatz zum Alten und Neuen Testament) und das Abrogationsprinzip die späteren, aggressiveren (medinesischen) Suren bevorteilt, ist so etwas wie eine reformatorische Koranhermeneutik grundsätzlich ein Ding der Unmöglichkeit.

Da dies Badiou nicht sieht und nicht sehen will, sieht er sich gezwungen, die Pariser Attentate als „faschistisch“ zu bezeichnen. Auch ihr antisemitischer Charakter wird kaum zugegeben, wird doch das massive Aufkommen des Antisemitismus unter den französischen Muslimen für Badiou entweder als Teil der imperialistischen Staatspropaganda bezeichnet oder kleingeredet (vgl. Badiou, Hazan, L’antisémitisme partout, 2011).

Auch Badious Verschwörungstheorie, wonach der Staat, die Politik, die Medien seit Jahren an einem Konstrukt des bösen Muslim arbeiteten, geht gerade in Frankreich vollkommen an der Realität vorbei. Seit der Entstehung der grossen antirassistischen Bewegung SOS Racisme in den frühen achtziger Jahren gibt es in den französischen Filmen nur noch gute, tolerante und weltoffene Muslime, sekundiert von antirassistischen Linksliberalen, die zusammen gegen die bösen, provinzlerischen Rassisten kämpfen. Eine systematische Sichtung der vier Presserzeugnisse von nationaler Ausstrahlung (Figaro, Le Monde, Libération, Humanité) fördert so gut wie keine Diskussion über den Islam als Ideologie (nicht den Islamismus) zutage – es gilt das eherne Gesetz, dass der Islamismus dem Islam völlig fremd ist und letzterer prinzipiell friedlich und tolerant. Seit all den Jahrzehnten, die der Autor vorliegender Zeilen französisches TV schaut, kann er sich an keine einzige (es sei wiederholt: KEINE EINZIGE) kontradiktorische und kritische Sendung über den Islam erinnern – dies selbst im Gegensatz zu Deutschland. Vielerorts kann, wer einen kritischen Begriff des Islam hat, sich eine akademische Karriere ans Bein streichen. Dies wirkt sich immer stärker auch auf die frankophone Westschweiz aus: Nach 20 Jahren hat der Autor aufgehört, den welschen Radiosender RSR1 zu hören – es ist einfach nicht mehr auszuhalten, jeden Tag hören zu müssen, wie friedlich, tolerant und sinnlich der Islam sei. Die Diagnose ist deprimierend: die französisch sprechenden Teile Europas erliegen seit Jahrzehnten einer regressiven, semitotalitären Islamophilie. Badiou ist einer der prominentesten Propagandisten dieser kollektiven Regression, die zahllose Wähler aus Protest in die Arme des Front National treibt.

Auch mit der permanenten Bezugnahme auf die populären Schichten Badious ist es nicht so weit her. Im Gegenteil: Durch die Negierung der spezifisch islamischen Gewalt verhält sich Badiou wie ein typisches Mitglied des Pariser Establishments, das gar nicht mehr sehen will, was sich im Land draußen abspielt. Es ist eine traurige Tatsache, dass dies nur in Erfahrung bringen kann, wer Provinzzeitungen (oder in der Region Paris die Zeitung Le Parisien) liest. Die alltägliche Gewalt ist quantitativ und in ihren Formen im europäischen Vergleich bemerkenswert: Nicht nur die Polizei (auf die inzwischen scharf geschossen wird), sondern auch die Feuerwehr ist regelmäßig Opfer schwerster Attacken, Schulen, Kindergärten und Bibliotheken brennen, Angriffe auf Frauen, Quartierfremde, Schwule, Juden, selbst auf Ärzte und Pfleger[4] sind Alltag geworden. Fast ausnahmslos führen die französischen Soziologen solche Phänomene auf die Armut, also sozioökonomische Faktoren, und das Habitat zurück. Eine These, die hoffnungslos überholt ist. Der Sozialgeograph Christophe Guilluy versetzte ihr den Todesstoß (Guilluy, Fractures Françaises, 2010), indem er nachwies, dass 85% der Armen in Frankreich nicht in den Banlieues, sondern in periurbanen und provinziellen Gebieten leben, wo der Anteil oben erwähnter Gewaltphänomene gering ist. Der vulgärmaterialistisch argumentierenden Soziologie wurde ein weiterer Schlag versetzt durch den Banlieueforscher Hugues Lagrange, der 2010 in Le déni des cultures nachweisen konnte, wie eminent wichtig Kultur und Religion für das Verhalten auch der Bewohner der Banlieues ist. Er wies auch darauf hin, dass es nicht unbedingt die chronologisch als letzte angekommenen Immigranten sind, die sich am schlechtesten integrieren, sondern dass Islam und Patriarchalismus eine entscheidende Rolle spielen. Bewusste Phänomene der Gewalt korrelieren keineswegs mit Armut und einem schlechten Habitat, sehr wohl aber mit einer starken Präsenz des Islam.

Es versteht sich von selbst, dass Lagrange und Guilluy in manchen Medien als „Neokonservative“ (oder noch übler) behandelt werden. Was sich in Frankreich „Antirassismus“ nennt, ist inzwischen zu einem Instrument faschistoider Repression avanciert: eine Art pseudolinks-islamischer McCarthyismus.[5]

All dies muss Badiou fremd bleiben, da er es restlos durch seine Imperialismustheorie meint auflösen zu können (wobei der arabisch-islamische Imperialismus kaum eine Rolle spielt). Er ist gar nicht imstande, sich zu fragen, weshalb in Frankreich durch die (Re-)Islamisierung Probleme mit der Laizität auftauchen (nämlich, weil es im Islam keine Unterscheidung zwischen Säkularem und Religiösem gibt). Vielmehr ergreift er die Flucht nach vorne und will die Laizität in toto auflösen. Selbst sie ist für Badiou ein verrottetes Instrument des französischen Kapitals. Demgegenüber sei festgehalten, dass die laizistische Schule gerade einen nach außsen abgegrenzten Raum garantieren soll, der religiöse, familiale, kommerzielle Einflüsse möglichst verhindert: im Idealfall ganz gemäss … Platons skholé.

Aufgabe eines zeitdiagnostischen Philosophen sollte es sein, den Wahnsinn in der Welt zu analysieren und zu reflektieren. Doch Badiou lässt sich vom Wahnsinn anstecken. Weder Universalismus noch Kommunismus sind mit Islam und Islamophilie vereinbar. Entgegen den eigenen Beteuerungen versucht Badiou, uns vom Gegenteil zu überzeugen. Der positive Bezug zum Kopftuch gegen Ende des Textes entlarvt ihn einmal mehr: Er erträumt sich eine Revolution ohne Laizität und Charlie Hebdo, dafür Hand in Hand mit den reaktionärsten, paläofaschistisch-islamischen Fraktionen der französischen Bevölkerung und unter Mithilfe von Hamas und Hezbollah: eine Vision des Grauens.

Nein, die Begeisterung für Pol Pot und die Roten Khmer waren keine Jugendsünde – das hat bei Badiou System.

(24. April 2015)

 

[1] Selbst der Bourdieuschüler Loïc Wacquant widersetzt sich diesem Klischee. Vgl. Wacquant, Parias urbains, 2007; Das Janusgesicht des Ghettos und andere Essays, 2006. Die französischen Banlieues haben entstehungsgeschichtlich nichts mit den rassisch-ethnischen Ghettos in den USA zu tun.

[2] Badiou, Zweites Manifest für die Philosophie, 2010, p. 124.

[3] Den epochalen Betrug der sogenannten „Islamophobie“ haben analysiert und aufgedeckt Kersimon Isabelle u. Moreau Jean-Christophe, Islamophobie – la contre-enquête, 2014.

[4] Die muslimisch dominierten Teile der Pariser Banlieue haben zahllose einst idealistische Ärzte aus Gründen der Gewalt verlassen. Siehe hierzu die Berichte des Observatoire de la sécurité des médecins auf dem Web.

[5] Vgl. Zenklusen, Ist der Antirassismus faschistoid geworden?, auf der Page der Gesellschaft für Aufklärung und Menschenrechte e. V. GAM

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